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Nachbeben der Corona-Krise: Der Kampf um den Einzelhandel
Im Zusammenhang mit der Corona-Krise hat die Regierung weitreichende Einschränkungen im öffentlichen Leben angeordnet und zum Teil tiefe Eingriffe in die Grundrechte vorgenommen. Die Folgen davon sind längst zu spüren. Stark ist auch die Wirtschaft betroffen. Besonders kleinere Betriebe haben mit den finanziellen Folgen zu kämpfen. Hoffnung auf staatliche Zuschüsse konnten bisher nicht alle Unternehmen hegen. Doch waren diese Eingriffe rechtmäßig?

Laut Aussage der Behörden haben nur wenige Betriebe einen Entschädigungsanspruch
Im Rahmen der Ausgangsbeschränkungen waren ab Mitte März alle Unternehmen, die nicht als systemrelevant gelten, von behördlich angewiesenen Betriebsschließungen betroffen. Schon im April hat das Oberverwaltungsgericht in Münster für das Land Nordrhein-Westfalen entschieden, dass die behördlichen Maßnahmen notwendig und rechtmäßig waren. Nun stellt sich allerdings die Frage, wer für die entstandenen Verluste aufkommt.
Wer seinen Betrieb aufgrund einer Infektion mit dem Coronavirus im Kreis der Mitarbeiter schließen musste, kann mit Sicherheit auf finanzielle Unterstützung bauen, so die Aussage der Behörden. Dies gelte aber ausschließlich für Betriebe, die offiziell vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wurden. Andere Betriebe, die nicht nachweislich von einer Covid-19 Infektion betroffen waren, zählen laut Behörden nicht dazu. Dabei mussten auch sie wirtschaftliche Einbußen in Kauf nehmen. Die finanziellen Konsequenzen und Verluste sind in vielen Fällen noch nicht vollständig einsehbar. Eindeutig ist jedoch schon jetzt: Es geht für viele Betriebe um ihre Existenz.
Gesetzesgrundlage entscheidend: Haben Betriebe doch Anspruch auf Entschädigungen?
Für allgemeine Betriebsschließungen galt der Anspruch auf Entschädigungsleistungen zunächst nicht. Tausende Händler und Kleinunternehmer sind daher bisher im Ungewissen über ihren Fortbestand geblieben. Die Anwaltskanzlei Mingers. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hat dazu einige Gutachten aufgesetzt. Die Erkenntnis: Auf Grundlage verschiedener Gesetzestexte lässt sich argumentieren, dass auch allgemeine Betriebsschließungen von einem Entschädigungsanspruch profitieren können.
Denn die Hinnahme der Verlustgeschäfte fällt unter den Begriff des „Sonderopfers“. Dieser schließt die Erbringung eines Individualopfers zugunsten des Schutzes der Allgemeinheit ein. In anderen Worten bedeutet dies: Um die Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus zu schützen, haben verschiedene Betriebe ihren Verkauf eingestellt und die damit verbundenen Verluste in Kauf genommen. Sie haben im Sinne des Sonderopfergedankens gehandelt und dabei kommerzielle Absichten zurückgestellt. Veranlasst wurde dies durch ordnungsbehördliche Maßnahmen. Die Betriebe gelten demnach als „Nichtverantwortliche“ oder „Nichtstörer“.
Wie kann der Anspruch auf Entschädigung begründet werden?
Grundsätzlich ist ein Rückgriff auf allgemeines Ordnungsrecht sowie Gewohnheitsrecht zur Entschädigung möglich. Gemäß Polizei- und Ordnungsrecht lässt sich begründen, dass den Betrieben als Nichtverantwortliche eindeutig eine Entschädigung zusteht. Damit kann das erbrachte Sonderopfer ausgeglichen werden.
Einem Nichtstörer in Nordrhein-Westfalen muss zum Beispiel gemäß § 39 Absatz I Buchst. a NRW Ordnungsbehördengesetz (OBG) eine durch die rechtmäßige Maßnahme entstandene Einbuße ersetzt werden. Unter diese rechtmäßige Maßnahme fallen auch die behördlich angeordneten Betriebsschließungen im Rahmen der Corona-Pandemie. Mit Bezug auf die zuvor genannten Paragraphen besteht der Entschädigungsanspruch für verschuldensunabhängige Unternehmen dementsprechend auch über § 56 und § 65 Infektionsschutzgesetz hinaus.
Gleichbehandlungsgrundsatz: Differenzierung bei Entschädigungsanspruch unrechtmäßig
Kleinunternehmer, Kurzarbeiter oder Quarantäne-Opfer: Gleiches muss gleich behandelt werden. Somit muss auch der Umgang mit behördlich angeordneten Betriebsschließungen gleich sein. Das geht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz hervor. Ob die Betriebsschließung aus dem Grund einer Quarantäne oder den allgemeinen Einschränkungen angeordnet wurde, darf dabei keine Rolle spielen.
Ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen darf demnach nicht nur für Betriebe gelten, die einer Quarantäne unterlagen. Gewohnheitsrechtlich anerkannt ist daneben der verschuldensunabhängige Entschädigungsanspruch aus einem enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriff im Sinne des Aufopferungsgedankens. Anders gesagt: Die Verluste durch das faktische Berufsverbot müssen allen Betrieben gleichermaßen ausgeglichen werden.
Eine Ausnahme bilden lediglich Betriebe, die von Soforthilfezahlungen profitiert haben oder während der Betriebsschließungen einen Anteil ihres Betriebs durch einen Außer-Haus-Verkauf fortführen konnten. Da sich für diese Betriebe ein geringerer Schaden ergibt, könnte sich der Anspruch auf Entschädigungen reduzieren.
Der Autor, Rechtsanwalt Markus Mingers, ist Gründer und Inhaber der Mingers. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und seit mehr als 13 Jahren als Anwalt im Bereich Verbraucherrecht sowie Arbeitsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht tätig.
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