Open-Office-Kultur - quo vadis?

Autor: Dr. Martin Lützeler
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Vom Virus erwischt? Was wird aus Shared Spaces und Open Offices?

Das waren noch Zeiten – als wir uns noch vor wenigen Monaten im Shared Space oder Open Office getroffen haben. Wir konnten uns jeden Tag einen anderen Schreibtisch und einen neues Gegenüber aussuchen, trafen uns in der Cappuccino-Ecke, lümmelten in Sofas oder auf Hängematten und haben Face-to-Face kommuniziert. Statt allein im Home-Office zu arbeiten, haben wir jeden Tag neue und alte Bekannte getroffen. Nicht nur die Büroraumanbieter für Freelancer schossen mit trendigen Arbeitsstätten wie Pilze aus dem Boden. Auch viele Unternehmen haben vor der Corona-Pandemie neue Bürokonzepte ausprobiert und umgesetzt: offen, flexibel und zwanglos.

Aber die Corona-Krise macht uns einen Strich durch die Rechnung. Jetzt müssen wir Abstand wahren, Masken tragen und sollen möglichst wenige Leute treffen. Wir stehen vor neuen Herausforderungen. Was heißt das für die Open-Office-Kultur?

Shared Space und Open Office kein „rechtsfreier“ Raum

Aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind Shared Space oder Open Office eine Mischung aus sogenannten Gruppen-, Kombi- beziehungsweise Großraumbüros, weil sich hier sowohl unterschiedlich viele Computerarbeitsplätze als auch Meeting-Bereiche und Ruhe- und Komfortzonen befinden. Maßgeblich sind – für Arbeitgeber – die Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV). Der Arbeitgeber muss die Arbeitsstätte so einrichten und betreiben, dass Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten möglichst vermieden werden. Um die Umsetzung der ArbStättV und anderer Arbeitsschutzverordnungen zu erleichtern, sind die Technischen Regeln zum Arbeitsschutz veröffentlicht worden, beispielsweise die technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR).

In ASR lässt sich an Beispielsfällen ablesen, wie Bürogebäude und -räume ausgestattet und eingerichtet sein sollen. Für Shared Space-Anbieter ist entscheidend, ob sie eigene Arbeitnehmer einsetzen. Ist das nicht der Fall, ist der Mieter selbst verantwortlich, sei es der selbständige Freelancer oder der Arbeitgeber, der die Büroplätze anmietet und seinen Mitarbeitern zur Verfügung stellt. Wer als Shared-Space-Anbeiter dagegen eigenes Personal einsetzt, sei es als Reinigungspersonal oder am Empfang, muss die Arbeitsstättenverordnung auch als Vermieter einhalten. Das gilt unabhängig von der Größe des Open Office oder der Zahl der Mitarbeiter und ist auch unabhängig von der individuellen Arbeitszeit der Beschäftigten (also auch bei Minijobbern).

Neue Anforderungen an flexible Bürokonzepte

In Corona-Zeiten gelten zusätzliche Bedingungen, mit denen eine Infektion mit dem Virus und eine Covid-19-Erkrankung verhindert werden sollen. Mit Corona infiziert man sich im Wege der sogenannten Tröpfchen-Infektion. Dieser Infektionsweg lässt sich am besten durch Abstand oder Trennung unterbinden. Um Infektionsketten identifizieren und unterbrechen zu können, sollen Kontakte erfasst beziehungsweise vermieden werden.

Die in den einzelnen Bundesländer geltenden Vorschriften zum Infektionsschutz betreffen auch Arbeitgeber und Selbstständige. Sie müssen Kontakte innerhalb der Belegschaft und zu Kunden so weit wie möglich vermeiden und Abstände einhalten. Statt der Arbeit im Büro soll den Mitarbeitern die Arbeit im Home-Office ermöglicht werden. Darüber hinaus verlangen Infektionsschutz-Vorschriften zusätzliche Hygiene- und Reinigungsmaßnahmen. In einigen Bundesländern ist sogar ein ausdrückliches Hygienekonzept erforderlich. Zusätzlich wird verlangt, dass Anwesenheits- und Kontaktdaten erfasst werden, um Betroffene im Falle einer entdeckten Infektion informieren zu können. Das gilt nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Shared Space-Anbieter. Hierfür reicht es nicht aus, die Corona-Warn-App zu installieren.

Die Arbeitsschutzvorschriften, allen voran das Arbeitsschutzgesetz, verpflichten den Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und dabei zu klären, welche Schutzmaßnahmen im jeweiligen Büro getroffen werden müssen. Wo kommen sich Menschen zu nah und wie kann eine Infektion verhindert werden? Die Maßnahmen müssen anschließend umgesetzt werden, um Arbeitnehmer und Dritte zu schützen. Empfehlungen für solche Maßnahmen enthält der vom Bundesarbeitsministerium erlassene SARS-COV-2-Arbeitsschutzstandard. Zusätzlich haben die Unfallversicherungen für die verschiedenen Branchen hilfreiche Informationen veröffentlicht. So auch die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), die für die meisten Dienstleistungsberufe in Büros zuständige Unfallversicherung. Zum Arbeitsschutzstandard soll es in nächster Zeit eine Technische Regel geben, die sehr viel detailliertere Informationen für die Praxis enthalten soll.

Was heißt das konkret?

Allgemein werden für Büros ein ausreichender Abstand, mindestens eineinhalb Meter, oder trennende Schutzeinrichtungen verlangt. Weitere Maßnahmen sind regelmäßige Reinigungen, Hygienemaßnahmen, Lüften der Räume und möglichst personenbezogene Arbeitsmittel. Einzelbüros lassen sich im Open Office nicht einrichten. Abstände können aber dadurch erreicht werden, dass die Belegung reduziert wird. Der übliche Büroarbeitstisch hat allerdings nur eine Tiefe von 80 Zentimetern. Der Abstand zwischen zwei gegenüber angeordneten Arbeitsplätzen kann also leicht die wichtige Grenze von eineinhalb Metern unterschreiten. Dann sollten Tische weiter auseinander gestellt oder Arbeitsplätze nicht belegt werden. Auch Trennwände zwischen Arbeitsplätzen oder zumindest auf den Tischen sind möglich. Wird durchsichtiges Plexiglas verwendet, dann bleibt zumindest die offene Optik erhalten.

Abstand soll man auch auf den Bewegungs- und Funktionsflächen und den Verkehrswegen einhalten können. Ist das nicht möglich, können zum Beispiel „Einbahnstraßen“ oder verbindliche Nutzungszeiten vorgegeben werden. Fluchtwege müssen aber immer benutzbar bleiben. Besondere Anforderungen ergeben sich auch für Teeküche, Pausen- und Erholungszonen oder Empfang und Garderobe; denn auch hier gilt der Schutzabstand. Werden Abstandsmarkierungen auf den Boden geklebt, was überall erfolgen soll, wo sich Warteschlangen bilden, dann dürfen diese natürlich nicht zur Stolperfalle werden.

Weil man sich bei Besprechungen nah kommen und Tröpfchen austauschen kann, sollen sie auf das absolut Notwendige reduziert werden. Denn bei Unterhalten Face-to-Face kann sich das Virus in Aerosolen, der feinsten Verteilung schwebender fester oder flüssiger Stoffe, in der Raumluft verbreiten. Eine gute Lüftung ist hilfreich und zumindest im Sommer kein Problem, solange Straßen- oder Umgebungslärm die Unterhaltung nicht unmöglich macht. Telefon- und Videokonferenz statt eines kurzen Treffens? Bei Besprechungen im Büro wird eine Mund- und Nasenbedeckung empfohlen. Und wenn der Schutzabstand nicht eingehalten werden kann, sind Masken verpflichtend.

Arbeitsmittel, wie Maus, Tastatur und Headset, sollen möglichst nicht von mehreren Personen verwendet werden. Andernfalls ist ein Reinigungs- und Hygienekonzept erforderlich, das eine Reinigung oder Desinfektion vor und nach der Benutzung vorsieht.

Wichtig ist, dass die Nutzer über die neuen Regeln informiert werden. Wie sollen sie sich sonst daran halten? Dafür gibt es die Unterweisung, bei der Risiken und Schutzmaßnahmen erklärt werden – und zwar so, dass es alle verstehen. Am besten also praktisch und – zumindest virtuell – vor Ort.

Jetzt braucht es neue Konzepte

Open Office und Shared Space kann es auch in Corona-Zeiten weiter geben. Arbeitgeber, Anbieter und Nutzer müssen sich aber auf neue Bedingungen einstellen. Sie müssen sich Gedanken machen, wie sie Infektions- und Arbeitsschutz umsetzen. Arbeitgeber müssen dies für ihre Beschäftigen nicht nur sicherstellen, wenn sie selbst Open Offices anbieten. Auch dann, wenn sie ihre Beschäftigten bei Fremdanbietern unterbringen, bleiben sie in der Pflicht, für gesunde und möglichst gefährdungsfreie Arbeitsbedingungen zu sorgen. Sie sollten ihre Vermieter in die Pflicht nehmen.

Davon unabhängig sollten sich auch die freien Anbieter für Open Office-Büros Gedanken machen, wie sie ihren Kunden sichere und gesunde Arbeitsbedingungen anbieten können. Ein One-Fits-All gibt es nicht. Stattdessen muss ein Blick auf die Arbeitsbedingungen vor Ort erfolgen. Das wird dazu führen, dass sich die Arbeit im Open Space verändern wird. Seien wir gespannt, welche Konzepte entwickelt werden: Vielleicht treffen sich in Zukunft unsere Hologramme zum Esspresso.

Der Autor
Dr. Martin Lützeler ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Er berät als Fachanwalt für Arbeitsrecht Arbeitgeber zu allen Fragen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz

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