Verhandeln (nicht nur) in Krisenzeiten

Autor: René Schumann
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Wie ein Pilot vor dem Start: Wer erfolgreich verhandeln will, muss planvoll und strukturiert vorgehen - in Krisenzeiten gerade für Start-ups wichtiger denn je.

Nicht nur großen Unternehmen macht die wirtschaftliche Lage in Deutschland, Europa und der Welt schwer zu schaffen. Auch – und vor allem – kleine Betriebe und Start-ups sind von der Corona-Krise hart getroffen. Umso wichtiger wird es gerade für Start-ups in Zukunft sein, Verträge nicht leichtfertig abzuschließen, sondern mit einer gut strukturierten Verhandlung das Bestmögliche zu erreichen. Wer dazu auch professionelle Verhandlungssysteme nutzt, verschafft sich selbst einen Wettbewerbsvorteil.

Gründer verhandeln vor allem im finanziellen Bereich, beispielsweise mit Co-Gesellschaftern, Risikokapitalgebern wie Business Angels oder Venture Capitalists. Dabei geht es für das Unternehmen oft um existenzielle Fragen, gewissermaßen um Sein oder Nicht-Sein. Und auch bei operativen Verhandlungen mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern müssen Start-ups professionell auftreten und strukturiert agieren. In beiden Fällen kann ein professionelles Verhandlungssystem mit zuvor klar festgelegtem Vorgehen sinnvoll sein und wertvolle Ressourcen schonen. Denn gerade für Start-ups zählt oft jeder Euro und jede Minute.

Bei Existenzgründern erfolgen Verhandlungen oft schnell und vermeintlich unkompliziert, durch mündlich getroffene Vereinbarungen oder einfachen E-Mail-Verkehr. Grundsätzlich kann dies zunächst durchaus sinnvoll sein, da wertvolle Managementkapazitäten oft nur sehr begrenzt vorhanden sind. Verfestigt sich dieser sehr situative Stil jedoch, kann es bei zunehmendem Unternehmenswachstum kritisch werden. Denn dann könnten schon kleine Fehler in der Verhandlungsführung fatale finanzielle Folgen haben. Ein Zitat unbekannten Ursprungs besagt sinngemäß: „Man bekommt am Ende das, was man verhandelt – nicht das, was man wirklich verdient.“ Und gerade, wenn es um jeden Cent geht, um knappes Kapital und eng kalkulierte Ressourcen, bringt die spieltheoretische Verhandlungsführung den Unternehmen echten Mehrwert.

Verhandeln im Pilotenstil

In der Praxis lässt sich auch beobachten, dass viele Gründer in der Verhandlungsführung unnötig gehemmt sind, weil sie einerseits eine hohe emotionale Abhängigkeit spüren, dass der „Deal“ funktionieren muss, und andererseits den Wert des eigenen Unternehmens unterschätzen. Das Grundproblem dabei: Damit verlieren sie in den Verhandlungen enorm an Augenhöhe, denn beides ist auf der Gegenseite zumeist weniger stark ausgeprägt. In der Konsequenz verschenken die Start-up-Verhandler ungewollt großes Potenzial.

Ein Tipp: Weg von den Emotionen und die eigene Verhandlungsmacht klar analysieren oder analysieren lassen. Es ist bereits viel gewonnen, wenn die eigenen Ziele ganz klar definiert und das eigene Vorgehen im Verhandlungsgespräch gut strukturiert sind. Zudem sollte sich der Verhandler auch die Ziele der Gegenseite verdeutlichen und diese während der Verhandlung nicht aus den Augen verlieren. Bei einfachen Verhandlungen genügen hierfür eine Checkliste und das selbstkritische Hinterfragen der eigenen Vorgehensweise – ähnlich eines Piloten vor dem Start: Wohin will ich? Wie gelange ich dorthin? Welchen Punkten begegne ich „unterwegs“? Welche Hürden könnten auftreten und wie umfliege ich diese?

Wenn es „ums Ganze“ geht

Große Verhandlungen mit potenziellen Investoren oder Käufern hingegen gleichen für die Gründer einem erlebnisreichen Marathon. Für den möglichen „Deal des Lebens“ sind eine strukturierte Vorbereitung und ein professioneller – unabhängiger – Verhandlungsführer unerlässlich. Die Gründer selbst sind emotional oft zu tief mit dem „Verhandlungsobjekt“ verflochten und damit nicht objektiv genug, um gute Verhandler zu sein und aufkommende Lösungsfenster systematisch zu erarbeiten und zu nutzen. Deshalb sollten diese den operativen Verhandlungen im besten Fall bewusst fernbleiben. Mindestens jedoch sollte ein unabhängiger Verhandler bestimmt werden, der die Gesprächsführung übernimmt.

Verhandlungen dieser Art scheitern oft daran, dass zu viele Emotionen im Spiel sind. Das reicht von Frustration über Verärgerung bis hin zu Siegestaumel. Damit kann man nicht erfolgreich verhandeln. Das geht nur, wenn man diese Emotionen herausnimmt und ein klares System entwickelt. Dabei spielt es keine Rolle, ob mit einem Gegenüber verhandelt wird, der seine Macht als Monopolist ausspielt, oder ob sich mehrere Teilnehmer einen harten Wettbewerb liefern.

Die Spieltheorie kann hier eine gute Orientierung bieten: Bedenkt man, dass Spiele nichts anderes als mathematische Modelle sind, mit denen Interaktionen zwischen Teilnehmern berechnet und vorhergesagt werden, dann wird schnell klar, dass sich mit dieser Verhandlungsmethodik hinderliche Emotionen aus Diskussionen nehmen lassen. Dazu gehört auch ein speziell für den jeweiligen Sachverhalt entwickeltes Verhandlungsdesign, das alle Anforderungen und Gegebenheiten berücksichtigt, denn nicht alles lässt sich einfach mit Erfahrungen aus der Vergangenheit lösen. Verhandeln verlangt Methode und System, ein gutes mathematisches Modell und ein eingespieltes Team von Verhandlungsexperten, die einen kühlen Kopf bewahren und möglichst objektiv sind. Denn eins ist klar: Der Verhandlungspartner auf der anderen Seite – oft deutlich größere Unternehmen oder sogar professionelle Investoren – ist speziell für derartige Verhandlungen ausgebildet. Wer im „Freestyle“ verhandelt und sich nur fachlich-inhaltlich vorbereitet, wird kostbaren Boden verlieren.

So empfiehlt es sich beispielsweise bei mehreren potenziellen Käufern oder Investoren, diese in eine Wettbewerbssituation zu bringen. Gibt es hingegen nur einen Interessenten, handelt es sich um klassische Monopolisten-Verhandlungen, bei denen auch klare Verhandlungssysteme insbesondere auf Basis von Behavioral Economics und weiteren psychologischen Disziplinen angewandt werden können. In den letzten Jahren haben derartige Mechanismen die Disziplin der Verhandlungsführung auf komplett neue Beine gestellt. Gleichzeitig wurden zahlreiche Nobelpreise für beispielsweise das Nudging vergeben – eine Technik im Bereich der Behavioral Economics-Disziplin, die den Gegenüber in eine bewusste Richtung beeinflussen soll. Konzerne nutzen diese Systeme routiniert in ihren wichtigsten Verhandlungen im gesamten Unternehmen.

Wichtig ist in jedem Fall, dass der Verhandlungsprozess vollumfänglich durchdacht wird und die Verhandlungsoptionen wie ein Entscheidungsbaum visualisiert und bewertet sind. Der Entscheidungsbaum zeigt konkret auf, welche Entwicklungen Verhandlungen nehmen können, wie man mit diesen umgehen sollte oder im Gegenteil durchdachte Impulse setzt, um sich im Verhandlungsmarathon in eine vorteilhafte Position zu bringen. Da der Wert eines Start-ups oft sehr interpretativ ist, wird er tatsächlich in vielen Fällen erst über den Verhandlungsweg bestimmt. Eine Einschüchterung seitens möglicher Käufer ist hierbei nicht selten, um den Kaufpreis zu reduzieren. Die Gründer sollten ihr Unternehmen daher objektiv bewerten und im Zweifel professionellen Rat einholen.

Praxistipp für alle Gründer & Start-up-Verhandle

  • Clusterung der Verhandlung nach Business Impact
  • Vorbereitung der Verhandlung nach erfolgter Klassifizierung
    - Einfache Verhandlungen ohne großen Business-Impact: schnelle Vorbereitung anhand von Checklisten, Aufwand der Vorbereitung auf ein Minimum begrenzen.
    - Mittlere Verhandlungen mit größerem Business Impact: für gründliche Vorbereitung mindestens zwei Stunden einplanen, bestenfalls einen objektiven Dritten hinzuziehen.
    - Signifikanter Business Impact – „White Elephants“ wie Finanzierungsrunden, (Teil-)Verkauf des Unternehmens, strategische Kooperationen mit Kunden oder Lieferanten: den Verhandlungsprozess vollumfänglich durchdenken, Verhandlungsoptionen visualisieren, einen unabhängigen Verhandler bestimmen.

Und immer gilt: Nie das festgesetzte Ziel aus den Augen verlieren!

Der Autor René Schumann ist der Geschäftsführer von Kerkhoff Negotiations, einem führenden Beratungsunternehmen mit Sitz in Düsseldorf, das darauf spezialisiert ist, für seine Kunden aus ganz Europa komplexe und konfliktträchtige Verhandlungsfälle aller Art, beispielsweise in Einkauf, Vertrieb, M&A-Projekten oder Arbeitnehmerangelegenheiten, mit dem spieltheoretisch fundierten Verhandlungssystem zu lösen.

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