Experten-Interview: Überleben im Existenzgründer-Dschungel

Gerhard Gieschen, Unternehmensberater, betreut seit mehr als 20 Jahren Existenzgründer und mittelständische Unternehmen.

Seine Erfahrungen als Projektmanager und Gründer der Initiative „Krisen-UHU“ – Unternehmer helfen Unternehmen – hat er in dem Survival-Handbuch „Wie junge Unternehmen Krisen bewältigen können“ (Cornelsen Verlag) festgehalten.

StartingUp: Wie lange dauert die Bewährungsphase nach der Gründung?
Gieschen:
Wenn die Gründungseuphorie verfliegt und die Unterstützungsgelder
verbraucht sind, ist die Schonfrist vorbei. Weder Kunden noch Wettbewerber verzeihen Fehler. Und jeder Fehler kostet Geld, Zeit, Kraft, zehrt an den Reserven und führt damit näher an den Abgrund. Statistisch betrachtet, beginnt das „verflixte siebte Jahr“ im siebten Monat und dauert bis zum 84. Monat nach der Gründung.

StartingUp: Was sind die in dieser Phase am häufigsten unterschätzten Stolperfallen?
Gieschen:
Die fehlende Konsequenz in der Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensziele. Der Geschäftsplan (wenn denn einer gemacht wurde) verstaubt auf der Fensterbank, während sich der Gründer von seinen persönlichen Interessen oder dem Tagesgeschäft mitreißen lässt. Es fehlt ein wirksames Instrumentarium, um von der Vision über eine Strategie bis zu der konkreten Aussage: „Was muss ich morgen früh dafür tun“ zu kommen. Vor allem die Tüftler und Träumer schauen viel zu oft nach innen, begeistert von den eigenen Fähigkeiten und Produkten und wundern sich monatelang, dass niemand anruft. Dabei gilt es jeden Tag aufs Neue, Kunden zu finden und deren Probleme zu lösen. Andere packt das Wachstumsfieber, sie spielen täglich „Doppelt oder nichts“. Der anfängliche Erfolg führt zum Höhenrausch. Begeistert werden immer mehr Projekte angestoßen, Verträge abgeschlossen, Mitarbeiter eingestellt, Räume angemietet. Durch unkontrolliertes Wachstum sind Liquiditätsengpässe vorprogrammiert. Ohne Risiko-Management entpuppt sich mancher neue Auftrag als Büchse der Pandora. Mehrkosten, Terminüberschreitungen und unzufriedene Kunden lassen das Unternehmen ins Schlingern geraten.

StartingUp: Ein Frühwarnsystem – basierend auf Selbstkontrolle und Selbstanalyse – kann helfen, diese Mängel frühzeitig zu erkennen und bei drohenden Krisen einzugreifen. Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden?
Gieschen:
Die grundlegenden Methoden eines Frühwarnsystems kann sich jeder Existenzgründer aneignen. Oberste Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz ist allerdings die Disziplin, es regelmäßig anzuwenden. Um diese sicherzustellen, empfiehlt sich der Aufbau eines eigenen Autopilot-Systems. Der Jungunternehmer hat dabei zunächst seine persönlichen Erfolgskennzahlen, also Umsatz, Kosten für Produktion und Personal sowie weitere zentrale Maßzahlen zu entwickeln und zu erheben. Die dazugehörigen Steuerungselemente ermöglichen es ihm dann, mit möglichst geringem Zeitaufwand seine Unternehmensentwicklung regelmäßig und dauerhaft zu kontrollieren.

Für die langfristige Unternehmensentwicklung empfiehlt sich der Einsatz eines strategischen Radars. Während der Autopilot die Entwicklung des eigenen Unternehmens überprüft und steuert, erfasst und bewertet das strategische Radar alle externen Informationen, die sich kurz-, mittel- oder langfristig auf die Unternehmensentwicklung auswirken können.

StartingUp: Wann muss Hilfe (zur Selbsthilfe) von Außen zugelassen werden?
Gieschen:
Sobald ein Unternehmen zusätzliches Geld zur Aufrechterhaltung des Laufbetriebes benötigt, befindet es sich in einer existenziellen Krise. Um das eigene Überleben sicherzustellen, muss der Jungunternehmer sofort externe Hilfe in Anspruch nehmen. Wer sich in dieser Situation befindet, kann viele helfende Hände nutzen, oftmals sogar kostenlos. Das Wichtigste ist aber, in den Spiegel zu schauen und sich den Beratungsbedarf überhaupt zuzugestehen. Nur wer bereit ist, der Krise ins Gesicht zu schauen, ist auch in der Lage, sie zu meistern.

StartingUp: Welche Unternehmen werden auf Dauer erfolgreich sein?
Gieschen:
Wir können drei unternehmerische Grundregeln aufstellen, die durch Analysen der KfW Mittelstandsbank klar bestätigt werden: Wer sein Eigenkapital regelmäßig ausbaut, stärkt die Krisenfestigkeit; wer Gewinne macht, bleibt im Markt; wer expandiert, scheidet seltener aus.
Es reicht nicht aus, die beste Dienstleistung zu erbringen und einen Umsatz in der Höhe des früheren Gehalts zu erzielen. Dauerhaft erfolgreich wird ein Existenzgründer nur dann, wenn er sich zukünftig nicht mehr als seinen eigenen Angestellten, sondern als Chef eines florierenden Unternehmens sieht und stets nach zusätzlichem Gewinn zur Eigenkapitalbildung und Risikoabsicherung strebt.